Eineinhalb Tagebuch – Ohne Rad in der unheimlichen Fahrradstadt Berlin

Da mein Fahrrad gerade in der Reparatur ist und ich kein Test E-Bike habe, fahre ich  seit 1,5 Tagen mit der BVG. Das ist auch mal schön, weil man dann beim SMS schreiben nicht immer so schrecklich aufpassen muss…
Trotzdem beschäftigt mich das liebe Zweirad, auch wenn ich nicht drauf sitze. Und ob es um Abstellanlagen, Anschließen oder Linksabbiegen geht – in der Fahrradstadt Berlin ist es nicht immer einfach. Wie man schon auf dem Weg von und zur BVG Station unzweifelhaft erkennen kann. Ein Fahrrad-Kurztrip:

Fahrradklau in Berlin

26.000 registreirte Diebstähle 2011, Aufklärung 4%. Das ist ein Riesenproblem, bei dem manchmal auch ein gutes Schloss nicht hilft, wie diese beiden Fotos nahelegen. War wohl spät gestern…

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Sichere Abstellanlagen

Sind neben einem guten Schloss eine ganz zentrale Bedingung um Fahrräder gegen Diebstahl zu sichern, aber wenn man dieses Video sieht, fragt man sich: Wo ist man eigentlich noch sicher vor wilden SUVs auf der Suche nach der nächsten Sprungschanze?

Neue Infrastruktur

Wichtiger noch als gute Abstellanlagen ist für eine echte Fahrradstadt, dass das Fahrrad bei allen neuen Straßenprojekten konsequent mitgedacht wird. Der Radfahrenden und dem Radler soll ja deutlich gemacht werden: Sie werden ernst genommen als vollwertige Verkehrsteilnehmerinnen. Tja, leider klappt das in der Praxis dann doch nicht so ganz. Beim Neubau und der Verlängerung der Axel-S. Straße in Kreuzberg bis an die Leipziger Straße (nahe Spittelmarkt) ist mir dass schon seit Monaten auf den Wecker gegangen, heute hab ich’s dann mal gefilmt. Der Radweg er von der Site kommt sieht zunächst klasse aus, aber er hört dann einfach und unvermittelt an einer Fußgängerampel auf – links abbiegen? Klar! Aber dann bitte absteigen und schieben. So zwingt man Radler_innen rum zu Rüpeln! Und warum ist eigentlich die Rad-Rechtsabbiegerspur auf der Fahrbahn links von der zum gerade ausfahren?

Das Projekt hat für 300 Meter laut Berliner Zeitung übrigens 11.400.000 Euro gekostet, das ist gut zwei mal der jährliche Radverkehrs-Haushalt der Hauptstadt (der beträgt aktuell 5 Millionen wie in diesem Artikel erwähnt). Und es entspricht knapp 40.000 Euro pro Meter. Doch die seien „gut angelegt“ wird Michael Müller (SPD) in der Berliner Zeitung zitiert. Denn außer der vierspurigen Straße seien auch Radfahrstreifen markiert, 64 Fahrradbügel installiert und 40 Ahornbäume gepflanzt worden, siehe Video oben… Dass beim Beseitigen einer der letzten Verkehrsberuhigungen, die die Berliner Mauer überliefert hat, allein 6 Millionen für Lärmschutz drauf gingen und Grenzwerte für Feinstaub und Lärm laut BUND dennoch überschritten werden werden, interessiert da ebenso wenig wie der Radfahrende Linksabbieger an der Fußgängerampel im Video.

Night Fever

Als die eineinhalb Tage ohne Rad dann fast durch waren fuhr mir dieses neon Gefährt über den Weg, ein bisschen Fahrradstadt gibt es also doch…

Ausstellung: Kopenhagen – eine Stadt fährt Rad

Zur dänischen Übernahme der EU Ratspräsidentschaft wurde heute Abend in die Nordischen Botschaften in Berlin eingeladen. Wo andere vielleicht über „ehrgeizige“ 2 Millionen Elektroautos 2057 geredet hätten, wird der Termin in den den Nordischen Botschaften genutzt, um die Ausstellung »Eine Stadt fährt Rad« zu eröffnen. Statt über blumige Visionen zu schwadronieren, wurde das Erreichte präsentiert. Irgendwie ehrlicher. Auch wenn man das alles schon gesehen hat – es ist immer wieder schön. Kopenhagen und Rad das ist was Feines; im Winter werden zuerst(!) die Radwege geräumt, dazu der omnipräsente, smarte MiIkael Colville-Andersen, Fahrradbrücken mit 13 % return on investment, mit dem Rad zur Arbeit, das Rad als das normalste der Welt, öffentliche Zähl- und Luftpumpstationen für Fahrräder, radelnde Ministerinnen, Rad-Kinder Spielplätze – und so weiter…

Hier ein paar Bilder:

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Die Ausstellung

Mir hat die Ausstellung gut gefallen,  kompakt und auf den Punkt. Wer in der Nähe ist, sollte es sich ansehen. Auch wenn die kopenhagener Straßen immer noch zu oft für Autos genormt sind: Ich finde man spürt, dass eine aufrichtige Überzeugung fürs Fahrrad vorhanden ist. Im Gegensatz zur Gratwanderung zwischen schüchternem kleinklein Probieren und Sonntagsreden-Heuchelei in Städten der deutschen Autokratie.

Für alle die einen visuellen Eindruck haben wollen oder den Weg nach Berlin nicht schaffen werden, habe ich einfach eine ganze Reihe kommentierter Fotos von Rädern und Schautafeln gemacht (mit einem Telefon). Anschauen!

Mehr e-Rad Hafen zum Thema Radpolitik

Rund ums Pedelec

Fahrradstadt VAN – eine Beobachtung

Heute gibt es mal einen kleinen bebilderten Reisebericht von einem Ort, mit viel tragischer Historie und Bürgerkrieg – aber auch mit vielen Fahrrädern.

Van (2000m Höhe, 400.000 EW)

Vor ein paar Wochen war der e-Rad Hafen in der Türkei unterwegs. Genauer in den überwiegend kurdischen Gebieten im Osten der Türkei, in Van. Van am Vansee, einem alkalischen See, siebenmal so groß wie der Bodensee. Die Region liegt ebenso wie der Bodensee in einem Dreiländereck- zwischen Armenien, Iran und der Türkei. Wie viele Städte der Region war auch Van gegen Ende des 19. Jhdt. eine armenische geprägte Stadt, im Zuge der türkischen Republik-Bildung wurde die armenische Bevölkerung Vans allerdings weitgehend vertrieben oder ermordet. Von 1889 bis 1927 sank die Bevölkerung der Stadt, ähnlich der vieler anderer Städte der Region, drastisch von 35.000 auf 7.000 Bewohner. Die enorm gewalttätige Phase der türkischen Geschichte vom ersten bis zum zweiten Weltkrieg ist bis heute ebenso wenig aufgearbeitet, wie der seit den 80ern andauernde bewaffnete Konflikt zwischen Kurden und türkischem Militär, der gerade dieser Tage wieder eskaliert.

Krieg, Landflucht und Verkehr

Eine Folge des Konflikts ist Landflucht, tausende Dörfer wurden seit den 90ern seitens des Militärs geräumt und die Millionen Menschen strömen in die Metropolen der Region – Diyarbakir bspw. hat seine Bevölkerung seit 1980 auf beinahe eine Million mehr als verdreifacht, Van wuchs in der selben Zeit von 90.000 auf 400.000 Einwohner.

Entsprechend chaotisch ist die Infrastruktur der Städte: Häuser, Straßen, Wasser und Strom bereit zu stellen ist für die Stadtverwaltungen eine massive Herausforderung. Mobilität wird meist zu Fuß oder mit dem Auto und öffentlichen (Mini)-Bussen erledigt, der Verkehr ist laut und oft sind Fahrbahn und Gehwege nicht gut getrennt. Es passieren außerordentlich viele schwere Verkehrsunfälle. Gezielte Fahrradpolitik gibt es nach meinem Eindruck nicht, es gibt zu viele andere Baustellen. In den meisten Städten der Region sind Fahrräder daher eine absolute Ausnahme (bspw. in Diyarbakir, Batman, Dersim, Elazig oder Mardin).  Um so erstaunter war ich, als ich feststellte, dass in Van Fahrräder und vor allem Lastenräder überall präsent sind. Jugendliche und Kinder fahren ebenso Fahrrad, wie Händler und Büroleute…

Woher die vielen Fahrräder?

Absolut dominant unter den Rädern ist die Marke „Bisan Bisiklet“ aus Izmir, vertreten durch einen Typ Lastenrad, ein Mountainbike, verschiedenen Kinderrädern und einem „Herrenrad“, also eines mit Diamantrahmen (allerdings mit doppeltem Oberrohr).

Ich war von der Nutzung so vieler Fahrräder selbstredend sehr begeistert und machte mich sofort ans Fotografieren und Video drehen… von lässigem Cruisen bis begeistertem Jubeln, das Fahrrad ist hier sichtbar mehr als eine Notlösung!  Schaut es Euch an!

Die Fotos

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Zwei Fragen

Was für einen Hut trägt der Hafenmeister (Kameramann) und – etwas schwieriger, auch ich weiß keine Antwort – warum gibt es in Van so viele Räder wenn es in den anderen Städten der Region kaum welche gibt? Wie könnte das zu Stande kommen? Ideen? Harte Fakten? Anyone??

p.s.: Ja ich weiß, das sind alles keine e-Räder. Na und?