ECF-Studie: Elektroräder und Klimawirksamkeit

In der Studie „Cycle more Often 2 cool down the planet! -Quantifying CO2 savings of Cycling“ der European Cyclist Foundation, die letzte Woche veröffentlicht wurde, werden die CO2-Emissionen verschiedener Verkehrsmittel pro Kilometer berechnet.

Das haben schon viele andere getan, allerdings nicht für Fahrräder. Denn da scheinen die Emissionen ja erst mal Null zu sein. Wenn man allerdings wie die ECF die Produktion des Rads und den Kraftstoffverbrauch sowie die -produktion (beim Rad den zusätzlichen Nahrungsbedarf der Fahrenden) berücksichtigt, wird es komplizierter. Eine solche Lebenszyklus-Analyse* ist aber gleichzeitig wesentlich aussagekräftiger als eine reine Betrachtung des Betriebs. Besonders spannend ist die Studie, weil sie das Ganze auch noch für E-Räder und Autos durchrechnet.

13 mal besser als Pkw, (e)-Radfahren schont das Klima! Foto: ECF

Fahrrad

Für ein Rad, das 8 Jahre lang 2400km pro Jahr gefahren wird (gesamt also 19.200km) fallen laut Studie durchschnittlich 5gCO2/km für Produktion und Erhalt an. Die Studie geht davon aus, dass der menschliche Energieverbrauch durch die Anstrengung ansteigt. Daher kommen ca. 16gCO2/km für die Produktion des zusätzlichem Essen für den Fahrenden dazu (diese Annahme orientiert sich am EU-Schnitt der Nahrungsproduktion pro Kalorie, im Einzelfall hängt das sehr stark von der Menge tierischer Produkte in der Nahrung ab). Gesamt Fahrrad: 21gCO2/km (Personenkilometer).

E-Rad/Pedelec

Beim e-Rad  (gleiche Lebensdauer) sind die Werte zunächst höher, die Studie setzt 7gCO2/km für Produktion und Erhalt an, vor allem Akku und Motor erhöhen die Werte. Dazu kommen 9gCO2/km für den Energieverbrauch (dieser Wert hängt stark von der Menge Kohle im Strommix ab). Da der Fahrende insgesamt deutlich weniger Energie verbraucht als beim normalen Fahrrad, fallen allerdings lediglich 6gCO2/km für die Essensproduktion an. Gesamt E-Rad 22gCO2/km (Personenkilometer)

Auto

Für Autos wird eine Lebensdauer von 160.000km angenommen. Bei der Produktion eines  im Schnitt 1200kg schweren Autos fallen etwa 42gCO2/km an. Die Studie geht von einer Auslastung von im Schnitt 1,57 Personen pro Auto aus, bei Pendlern 1,16. Der Streckenmix wird mit 70% Stadt, 20% Landstraße und 5% Autobahn angenommen. Damit kommen ca. 229gCO2/km für die Produktion und das Verbrennen des Kraftstoffes dazu (das variert etwas je nach Kraftstoff). Gesamt Auto: 271gCO2/km (Personenkilometer)

Fazit E-Räder und Fahrräder jeweils etwa zehnmal sparsamer als Autos

Das Ergebnis der Studie legt also nahe, dass die Emissionen pro Personenkilometer um etwa Faktor 13 kleiner sind, wenn statt dem Auto das Fahrrad genommen wird (wer die eigenen Einsparpotentiale mal durchrechnen will, kann mit etwas Anpassung diese Zahlen in den e-Rad Hafen Klimarechner eingeben). Entgegen vieler Einschätzungen ist dieser Wert auch mit dem Elektrofahrrad sehr ähnlich (siehe bspw. meinen Gastbeitrag im Blog der Radspannerei).

Die Emissionen für Bau und Erhalt und Bau der Pkw-Straßeninfrastruktur würde diese Werte wohl noch wesentlich deutlicher pro (e)-Fahrrad ausschlagen lassen.

Wenn die EU und ihre Mitgliederstaaten also etwas fürs Klima tun wollen, dann kann das nur heißen:

Fördert den Radverkehr, wo immer es möglich ist!

Menschen gehören für Kurzstrecken aufs (e)-Fahrrad und das wird nur passieren, wenn die Politik aufhört, nach der Pfeife der Autoindustrie zu tanzen und parallel den Radverkehr vor sich hindümpeln lässt.

Die ECF kommt außerdem zu der Einschätzung, dass 12-26% der bis 2050 in der EU nötigen CO2-Einsparungen im Transportsektor erreicht werden könnten, wenn alle so viel radeln würden wie Däninnen und Dänen bereits heute (mehr dazu auch beim BikeBlogBerlin).

* Infrastruktur und Entsorgung/Recycling wurden nicht betrachtet.

ADFC Fahrradmonitor 2011

Zum zweiten Mal nach 2009 hat der ADFC mit dem Sinus Institut eine nach Alter, Geschlecht, Bildung und Wohnortgröße repräsentative Befragung über Verkehrsverhalten und Fahrradnutzung durchgeführt. Per Online Fragebogen wurden 2.000 Menschen zwischen 14 und 69 Jahren befragt. Die Ergebnisse wurden am Donnertag im Haus des Lehrers (Berliner Congress Center) Fachleuten und Journalisten präsentiert.

Vorweg: Eine deutlich positive Entwicklung für die Popularität des Fahrrads hat es seit 2009 ebenso wenig gegeben, wie einen deutlichen Zuwachs in der Nutzung. Das Auto ist weiter des der Liebling der Meisten. Aber zwei Jahre sind eine sehr kurze Phase und die Erhebung wird wohl weiter geführt. Wünschen wir uns zukünftig einen klaren Trend zum (E)-Fahrrad!

E-Räder im Monitor

Es zeigt sich, wie stark das Interesse an Rädern mit elektrischem Hilfsmotor gewachsen ist. Nur 8% der Befragten haben bis jetzt eins gefahren (1% besitzt eins), aber 47% haben Interesse daran (2009 waren es 24%). In der Altersklasse über 60 würden sogar die meisten ein E-Rad einem herkömmlichen Fahrrad vorziehen.

Die Perspektive für E-Räder ist aber nicht nur wegen der alternden Bevölkerung hierzulande gut – Die Hindernisse bei der Fahrradnutzung lesen sich wie eine indirekte Werbebroschüre für Elektrofahrräder! Die wichtigsten drei Gründe auf die Frage “Welche der folgenden Gründe führen dazu, dass Sie nicht mit dem Fahrrad als Verkehrsmittel fahren?“ kann das E-Rad definitiv abschwächen:

  • Wege zu weit (56%)
  • zu langsam (34%)
  • zu anstrengend (21%)

E-Räder können das Fahrrad also ergänzen und nicht hauptsächlich eine Konkurrenz darstellen.

Das Wichtigste außer E-Rädern

Das subjektive Sicherheitsgefühl von Radlern im Verkehr ist gesunken, nur noch 5% der Radler fühlt sich „sehr sicher“, 2009 waren es 19%. Dieses Ergebnis erklärte Manfred Tautscher vom Sinus Institut mit einem gesellschaftlich insgesamt gesunkenen Sicherheitsgefühl… Das kann sein, es scheint mir aber dennoch eine bemerkenswerte Veränderung.

Alltagswege wie Einkauf oder Arbeitsweg werden häufiger mit dem Rad gemacht, das erfordert gute Abstellanlagen. Die Forderung nach solchen Anlagen ist 2011 deutlich mehr genannt worden. Besonders negativ wurden die Anlagen an Haltestellen und Bahnhöfen bewertet. Weiter wird als politische Forderung am meisten der Ausbau von Radwegen gefordert.

Ausblick

Menschen sind in der Regel sehr zufrieden mit ihrem Rad. Es planen auch mehr Leute sich ein neues zu kaufen als 2009. Die Zahlungsbereitschaft ist von 570€ auf 620€ gestiegen. Die Industrie hat also weiter gute Aussichten. Wenn jetzt die Verkehrspolitik ihren Teil tut und Infrastruktur verbessert, statt Rad-Investitionen zu kürzen und Scheindebatten über eine Helmpflicht zu führen, dann könnte sich auch der oben herbei gewünschte deutliche Trend zu mehr Fahrradnutzung einstellen.

Also bitte: Einfach mal 5€ pro Kopf mehr investieren, statt den Menschen 30€ für einen Helm abzuknöpfen –  Die positiven Effekte auf Klima und Luft, Platz und Lärm, Gesundheit und soziale Mobilität werden die Kosten locker über kompensieren. Investitionen in den Radverkehr sind eine vielfache Win-Win Situation.

Weitere Infos

Hier geht es zum Download der Studie

Die Sendung dazu im Deutschlandfunk

Helmpflicht – eine faule Investition!

In zahlreichen Medien wird dieser Tage (wieder) heftig über eine Helmpflicht für Radfahrende diskutiert, z.B. im Stern oder im Spiegel . Ein Helm kann schützen, darüber sind sich alle einig, die meisten haben aber auch begriffen, dass eine Pflicht nicht das richtige Mittel ist.

Auto-Normativität

Grund eins: Auto normative „Inkonsequenz“: Ein Helm kann genauso Autofahrer_innen schützen, die ein höheres Risiko schwerer Kopfverletzungen eingehen (das habe ich hier schon einmal dargelegt). Wer käme auf die Idee, eine Helm-Pflicht für Autoinsassen zu fordern? Tja. Das würde das Auto gefährlich wirken lassen und das findet die Autolobby überhaupt nicht gut. Auch wenn es noch so wahr ist.  In ein ein Auto zu steigen soll das normalste der Welt sein und keiner darf da einen Grund zur Panik haben.

Aber damit nicht genug: Pkw und Lkw sind auch das Hauptrisiko für Radler, schwere Kopfverletzungen zu erleiden. Statt aber am Auto an zu setzen bspw. generelles Tempo 30, Außenairbags, autofreie Innenstädte… fordert und rät bspw. der ADAC: Radler sollen sich schützen.

So gilt Fahrrad fahren als gefährlich, Auto fahren dagegen steht für Komfort, Erfolg und Sicherheit. Das meine ich mit „Autonormativität“, so wird und bleibt der Pkw Verkehrsmittel Nummer eins!

Fakten?

Ungeachtet dessen scheitern die meisten Studien daran, den anzunehmenden positiven Helm-Effekt auf die Sicherheit von Radfahrenden unter Beweis zu stellen, wie bspw. der Greifswalder Unfallforscher Dr. Uli Schmucker in einem Vortrag bei der DVWG erläuterte.  Sei es weil Helme bei den meisten Unfällen (bspw. mit einem abbiegenden Lkw) nicht helfen, oder weil ein Helm dazu führt, dass alle Verkehrsteilnehmenden wegen des scheinbaren Schutzes mehr Risiko eingehen (so genannte Risiko-Homöostase wurde bspw. nach Einführung von ABS nachgewiesen). Es ist durchaus rätselhaft. Fakt ist dagegen: Länder mit Helmpflicht sind meistens Fahrrad-Entwicklungsländer, die damit den Radverkehr vollends abwürgen. Länder, in denen der Radverkehr relativ sicher ist, wie bspw. Holland haben dagegen keine Helmpflicht.

Nun mal zum Titel: Kosten einer Helmpflicht!

Die meisten sind sich einig, bessere Radanlagen machen den Radverkehr sicherer. Aber die Anlagen kosten Geld und das ist knapp. Auch die Helmpflicht soll ja den Radverkehr sicherer machen. Was also kostet die Helmpflicht? Sagen wir für Deutschland (und in der Klammer: für Berlin).

Annahme: Ein Helm kostet 25€, und hält vier Jahre, kostete jeden Radfahrenden also im Schnitt 6,25€ pro Jahr. 60 Millionen Menschen in Deutschland müssen einen Helm kaufen (Berlin 3 Millionen), 20 Millionen fahren kein Fahrrad (ca. 0,5 Millionen in Berlin). In vier Jahren würden volkswirtschaftliche Kosten von 1,5 Milliarden € anfallen (Berlin: 75 Millionen).  Pro Jahr 375 Millionen Euro (Berlin: 18,75 Millionen)

Im Vergleich:

Fazit: Radverkehrsabgabe statt Helmpflicht!

Die volkswirtschaftlichen Kosten einer Helmpflicht sind (für Berlin) gut doppelt so hoch, wie die gesamten Ausgaben von Bund und Land für den Radverkehr. Das ist volkswirtschaftlicher Irrsinn (genauso wie 3€ im Jahr irrsinnig wenig Geld für den Radverkehr ist)! Würde man statt Helmpflicht eine pro-Kopf Abgabe für die Förderung des Radverkehrs einführen und sie auf die 6,25€ pro Jahr ansetzen, hätte man also gut doppelt so viel Geld für den Ausbau und Aufbau sicherer Radverkehrsanlagen. Mehr Leute würden statt Auto Rad fahren, was gut für Umwelt und die Sicherheit des Verkehrssystems insgesamt ist. Und nun frage man mal eine Verkehrsfachfrau oder einen Unfallspezialisten wie viele Leben man damit retten kann?

Des e-Rad Hafens steile These: Mehr als mit der Helmpflicht!

Mehr zu Thema Helmpflicht

e-Rad Hafen zum Thema Radpolitik

 

 

ADFC Kreisfahrt und Wahlen (beides Berlin)

Ich bin also der erste, der über das schöne Blogger und Kommentaristen Kennenlernen gestern auf der ADFC Kreisfahrt berichtet:

Bestes Wetter war es, endlich Raum auf der Fahrbahn, vom Potsdamer Platz ging es über Skalitzer, Warschauer, Landsberger, Prenzlauer, Westhafen, Ernst Reuter Platz, Ku’Damm einmal rum um Berlin. Auch wenn es eng war, es lief flüssig und fluffig, da können Autos nur von träumen. Mir hätte ein bisschen mehr Lärm nach dem Motto: Wir sind hier und wir wollen mehr Platz für den Radverkehr auch im Alltag! gut gefallen, aber auch so war es sicher hilfreich mit geschätzten 2000 Leuten auf Fahrrädern präsent zu sein.

Gute Gelgenheit mal wieder Kalle vom Radspannerei Blog und Andreas von BikeBlogBerlin zu sehen, sowie BerlinRadler, Michael und reclaim, kennenzulernen. Sie haben alle erfolgreich an der Diskussion um meinen Gastbeitrag zu e-Rädern neulich bei der Radspannerei teilgenommen.

Nach so viel heißer Cyber-Diskussion war das Kennenlernen irgendwie spannend. Da ich aber wegen des Mottos „CO2-frei unterwegs – Deine Energie für bessere Mobilität“ mit meinem City-Rad ohne Motor unterwegs war, kam keine erneute Diskussion zu stande… Die Sonne schien weiter prächtig und es war deshalb auch ansonsten alles Wolke.

Hier ein paar Bilder

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Man merkt ihnen an, dass ich mich eher unterhalten habe als auf die Motive zu achten ;-), dennoch interessante Räder sind es allemal. Wer mehr sehen möchte, BikeBlogBerlin-Andreas hat hier die besseren Fotos! Falls jemand die Bilder verwendet, selbstredend ihn als Bildquelle angeben (© BikeBlogBerlin).

Wahlen in Berlin

Und wenn wir schon mal bei der Nabelschau sind: Heute wurde auch gewählt hier in Berlin. Vor meinem Wahlbüro war eine Schlange! Allerhand, wie ich fand. So wie es aussieht bleibt Präsident Wowereit im Amt, aber die Grünen dürfen statt der Linken mit tun. Renate Künast wird trotzdem wieder in den Bundestag radeln (??) und die FDP gehört nun endgültig zu den vom Aussterben bedrohten, jedoch nicht notwendigerweise schützenswerten Arten. Naja, vielleicht wird ja im Kreissaal bald das (Fahr)rad neu erfunden und die FDP als Partei mit verständlichen Wahlplakaten wieder geboren. Man weiß ja nie. Überraschend für alle, außer mich: Die Piraten haben es scheinbar in den Kreml geschafft! Mich überrascht das deshalb nicht, weil es

1 . bei mir um die Ecke seit ein paar Monaten ein Parteibüro gibt, das Eis im Namen der Piraten verkauft – das Business läuft kann ich sagen.

2. für jemanden aus dem Hafen immer leichter ist, Piraten schon früh zu erkennen und richtig einzuschätzen

Ausblick

Von der süßwasser-Piraten-Opposition kann man nicht unbedingt Impulse was den Radverkehr betrifft erwarten. Welcher Pirat fährt schon Fahrrad? Da baue ich eher auf ein Politik-Programm-Wikipedia, das kollektive Intelligenz zu nutzen versteht (Wahlplakat: Wir sind die mit den Fragen, ihr die mit den Antworten), oder die Offenlegung der Privatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe. Das wäre auch schon mal was. Verlangen kann man überlegte Radpolitik wiederum von den Grünen. Aber eine Partei die in HH als Regierungspartei Moorburg mit trägt, kann auch die A100 als Sachzwang darstellen. Ich mahne schon mal. Man darf gespannt sein.

Ahoi Berlin!

Spieglein, Spieglein in der Hand, wer schreibt am wirrsten…

… im ganzen Land? Jawoll, das Team aus 10 (in Worten: ZEHN) Spiegel-Radverkehrsexpert_innen die gemeinsam das dieswöchige Titelthema beackern:

Der Straßenkampf – Rüpel Republik Deutschland

Titel des Artikels: „Das Blech des Stärkeren“. Über diesen 8-Seiter möchte der Hafen ein paar schnippische Worte verlieren, auch wenn die e-Räder auf der IAA gerade spannender sein mögen.  

„Das Blech des Stärkeren“ Abstract – Synopsis – Zusammenfassung

Vorneweg der Artikel bringt insgesamt viele richtige Sachverhalte hervor, hier mal ganz kurz und knapp: Der Radverkehr nimmt zu, Rad ist hipp. Alle wollen radeln, das ist gut so (Umwelt, Platz, Sicherheit etc.). Die Infrastruktur ist wegen Jahrzehnten der Auto orientierten Verkehrspolitik aber nicht darauf ausgelegt. Das muss sich ändern. Und weil Radler weder auf Fahrbahn, Bürgersteigen noch auf Busspuren genug Platz haben, werden viele Menschen sauer oder fühlen sich bedroht. Oft auch die Radfahrer selbst, die sich noch öfter nicht an Regeln halten.

Irgendwie müssen wieder mehr nette Umgangsformen her. Denn der Kampf um Platz und die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft sorgen sonst für immer mehr Eskalation im Alltagsverkehr: Ich zuerst, ich, ich, sonst gibts schlimm Haue!

Das Auto verliert als Statussymbol an Bedeutung und Deutschland wird von einer Autonation zum Radlervolk. Die Politik kürzt dennoch munter am Radbudget im Bundeshaushalt, fährt dicke Schlitten, kennt das Fahrrad nur aus dem Fernsehen… und Frau Merkel begrüßt die IAA persönlich, statt mal ein Zeichen zu setzen.

Alles klar? Soweit so gut? Und wat nu?

Der Rest vom Fest

Was nutzen richtige Inhalte wenn sie im falschen Kontext stehen? Der Artikel ist wie gesagt acht Seiten lang und das liegt nicht nur an den vielen Fakten, Fakten, Fakten die die teils richtige Aussagen belegen. Nein, leider. Der Spiegel-Text ist umhüllt und aufgebläht, er strotzt vor widerspenstiger und widersprüchlicher Polemik á la: Radfahrer-Rowdys, die unschuldige Menschen reihenweise, wahllos und tätlich angreifen. Wahnsinnige radfahrende Scharen, ohne Licht und Bremsen, für die Ampeln nicht zählen, die genüsslich nebeneinander fahren, nur um Autos  zum Schleichen zu zwingen…

Nach dem Motto: Deutschland 2011 = Radikaler-Rad Horror!

Beschriebene Tiraden werden zwei Seiten später lapidar gebremst: Radfahrer sind überproportional häufig von schweren Unfällen betroffen. Keine Dutzenden Prügel-Opfer von Rad-Rowdys? Kein Wort zu Auto Totalschäden wegen schlagen aufs Autodach? Vom Raser-MTB überfahrene Kinder? Fehlanzeige. Wie ausgesprochen wenige Unfälle schlechte Beleuchtung oder -Bremsen am Rad als Ursache haben, steht auch nicht im Artikel. Die Polemik würde sonst auch noch alberner.

Buntes Wollknäuel statt roter Faden!

Es ist seltsam, wie ein Text widersprüchliche Teil-Argumentationen so neben- und ineinander verstricken kann. Scheint fast als hätte jede_r der 10 Autor_innen ohne Absprache immer reihum einen Absatz geschrieben.

Leider fangen auf Seite eins die an, die diese abstruse Gewalt-Radler Story glauben machen wollen, zum Ende wird es etwas besser. Man muss aber befürchten, dass viele das Werk aus purem Selbstschutz nicht zu Ende lesen und dann mit Schaum vorm Mund dem nächsten Radler, der keine Warnweste trägt und ohne Tagfahrlicht fährt …

„Fahrräder stinken nicht.“

So nüchtern und wahr dann der letzte Satz. Happy End also? Und das nach den acht Seiten Buchstaben gewordenen Debatten-Wirrwarr, den Nebelkerzen und herbei geschriebenem Verkehrs-Splatter. Puh, möchte man sagen. Und als Berliner im Sinne der Bergpartei hinzufügen:

Fahrräder brennen auch nicht!

Nee, lieber SPIEGEL, der Artikel ist nun wirklich keine Glanzleistung und wird nicht viel beitragen zur Debatte um eine zukunftsfähige, „friedliche“ und menschenfreundliche Mobilitätsentwicklung. Schade eigentlich, die Fakten kennt Ihr ja scheinbar sehr gut. Von Deinen Online Rad-Schreiber_innen ist man besseres gewohnt. Zum Glück les ich sonst meist die.

Die Anderen

Eine stärker auf die Inhaltlichen und weniger auf die Form fokussierte Auseinandersetzung mit dem Artikel, mitsamt Lösungsvorschlägen und zahlreichen Belegen für die tatsächlichen Konflikte mit und um den Radverkehr findet Ihr übrigens hier: www.zukunft-mobilitaet.net/6427/strassenverkehr/das-blech-des-staerkeren-spiegel-kritik

Weiter hat sich auch  der Blog www.48zwoelf.de mit dem Artikel auseinander gesetzt.

 

Neu 2011! e-Räder (Pedelecs) auf der IAA!

2012 rechnet die Branche mit 300.000 verkauften Rädern mit E-Motoren! Woher kommen die vielen Nutzerinnen und Nutzer? Das heraus zu finden, treibt Kritiker und Freundinnen des e-Rads gleichermaßen um. Die einen meinen zu wissen: E-Räder sind Teufelszeug und bringen den chronischen faulen Menschen dazu gar noch fauler zu werden. Die anderen mutmaßen: Das e-Rad ersetzt an verschiedenen Stellen Autos und wird gemeinsam mit dem klassischen Rad die Städte aus dem fortwährenden Verkehrskollaps retten.

Die Sozialwissenschaften fahren die Rechner hoch, entwerfen Interview-Studien und  machen empirische Erhebungen in Beispielregionen mit Beispiel-Pedelec Nutzer_innen. In ein paar Jahren werden wir mehr wissen und das ist auch gut und wichtig. Aber….

Geschichte wird gemacht!

Wer möchte, dass Autos verschwinden und e-Räder stattdessen auftauchen, der muss raus aus dem warmen Nest und sollte sich nicht über den brancheninternen e-Rad Hype betrunken freuen. Der muss weg von Fahrradmessen, Fahrradpresse, Fahrradverbänden und letztlich eben auch Fahrrad-Fachpublikum! Dahin wo es weh tut! Und was wäre da geeigneter, als sich Mitten ins Herz des Autokults einzumieten? In die heiligen Hallen der mächtigen IAA im hessischen Frankfurt?

Pioniere: Flyer und Riese & Müller

Gesagt getan, dieses Jahr finden sich zwei mutige Pioniere auf der IAA. Die Hersteller Riese & Müller und Flyer packen die Messestände ein und bauen sie auf in der:

„Halle der Elektromobilität“

In der Halle also, die laut VDA Chef Wissmann „erstmals die gesamte Wertschöpfungskette beim Elektroauto“ zeigt. Die Elektroräder werden neben dem Smart-Prototypen zwischen Autokonzernen und ihren Elektroautos, den dazugehörigen Zulieferern und F&E Platz nehmen. Atomstrom-Riesen wie e.On oder evonik werden ebenso nicht fehlen. Man darf gespannt sein, ob die radelnden Exoten mit Mitleid, Wohlwollen oder Bewunderung; Spott, Missachtung oder Respekt empfangen werden. Herr Wissmann scheint es, wie oben zu erkennen, vorerst noch mit nicht-erwähnen zu probieren, was sich dann auch auf die meisten Pressemitteilungen zur Halle der Elektromobilität übertragen dürfte. Nun denn hier im Hafen steht die Sache geschrieben, tragt es in die Welt!

So wird die Halle der E-Mobilität hoffenttlich nicht aussehen.... Foto: Ruth Rudolph / pixelio.de

Bald raus aus dem (Wind)schatten rein in die Zukunft?

Auch wenn die IAA für Radhersteller sicher kein „Ponyhof“ ist, Riese & Müller und Flyer haben trotz der Lage am Rand des Wahrnehmungs-Korridors der Autobranche die Argumente auf ihrer Seite. Sie fahren im Windschatten der realen Entwicklung von Klimawandel, mangelnder Verkehrssicherheit, Lärm und Flächenverbrauch des Autoverkehrs, Peak Oil und knappen anderen Ressourcen. Weite Teile der Rest-IAA Aussteller wecken da eher die Metapher des Geisterfahrers auf der Fahrt in die Zukunft…

Der e-Rad Hafen findet, beiden Herstellern gebührt eine Menge Respekt und Applaus für diese Aktion: Derby, KTM und all Ihr anderen (e)-Rad-Riesen, macht Euch warm und kommt dazu; bei der AMI 2012 oder bei der IAA 2013. Wer weiß wie lange es dieses Veranstaltungen noch gibt.

Weiteres

Mehr zur IAA: Hier im Hafen

Eine Übersicht über Messen, Tests und Produktinfos: Hier

Wer Fahrrad fährt, lebt länger!?

Das ist das Ergebnis einer Studie, die sich mit den Effekten des öffentlichen Fahrrad-Leihsystems in Barcelona – Bicing, eingeführt 2007 – befasst. Wie in vielen anderen europäischen Großstädten (bspw. London oder Paris) hat auch das System in Barcelona zwei Hauptziele: den Verkehr entlasten und die zunehmende „Fettleibigkeit“ (obesity) der Bevölkerung zu verringern.

Was macht die Studie?

Die Studie untersucht die negativen und positiven Effekte von Fahrradfahren auf die individuelle Gesundheit anhand der spezifischen Sterberate. Negativ sind laut Studie insbesondere das Unfallrisiko und die stärkere Belastung mit Abgasen. Positiv ist vor allem die gesteigerte physische Aktivität. Die Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit durch weniger Autoverkehr, Lärm und Abgase wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Zusätzlich hat die Studie aber die CO2 Ersparnis berechnet.

Ergebnisse

Die durchschnittliche wöchentliche Aktivität der Bicing Nutzer_innen  war 3,3km an Wochentagen und 4,2km an Wochenendtagen, für die knapp 25km pro Woche fahren die Nutzer_innen im Schnitt 106 Minuten, also 1 3/4 Stunden (übrigens 14km/h Durchschnitts-Geschwindigkeit). Dabei wurde jährlich etwa 9000 Tonnen CO2 gespart.

War uns schon klar: Wer Rad fährt, lebt länger.... Foto: e-Rad Hafen

Die Todesrate unter den 25.000 Bicing-Teilnehmer_innen war trotz Unfallrisiko und Luftverschmutzung deutlich geringer, als die unter der normalen Bevölkerung zwischen 16 und 64 Jahren. Sie sank um etwa ein Viertel (12 Todesfälle) von 52 auf 40 Fälle. Als Absicherung wurde abgeschätzt, wie gängige Gesundheits-Modelle die Auswirkung anderer physischer Aktivitäten auf die Sterberate abschätzen würden. Das Ergebnis war ähnlich, 1 3/4 Stunden mehr Sport machen sich also in aller Regel bezahlt. Damit kann man davon ausgehen, dass die Effekte tatsächlich auf zusätzliche Radfahren zurück gehen und nicht darauf, dass die Menschen die Bicing nutzen eine ohnehin insgesamt aktivere/gesündere Gruppe der Bevölkerung sind (dennoch könnte in diesem Falle der zusätzliche Nutzen des Radelns geringer sein).

Diskussion

Die Studienautor_innen haben keine Kenntnis über die Altersstruktur der Bicing Nutzer, diesen Mangel habe sie ausgebessert indem sie die Verteilung variiert haben. Nimmt man an, dass die Nutzer_innen von Bicing jünger sind (33 Jahre im Schnitt) als die Grundbevölkerung dann verringert sich der positive Effekt demnach auf 7 vermiedene Todesfälle. Das ist immer noch eine Menge. Allerdings ist nicht gesagt, dass die Altersgruppe nicht noch jünger ist.

Wichtig an der Studie ist, dass sie aussagt, dass Radfahren im Alltag nicht nur den Verkehr im allgemeinen sicherer macht, sondern für jede_n einzelne_n gesundheitliche Vorteile bedeutet, trotz statistischer Unfallrisiken. Sie liefert also ein weiteres Argument, dass Radfahren letztlich sicherer ist, als Autofahren (ein anderes ist das geringere Risiko schwerer Kopfverletzungen beim Radeln, wie ich es hier erläutert habe). Es ist allerdings fraglich ob eine Abweichung von 12 Fällen bei 52 in der Grundgesamtheit wirtlich ein signifikanter Unterschied ist – Anyone? Ich muss das mal nachrechnen. Jedenfalls scheinen mir Statistiken, die sich mit Ereignissen befassen, die häufiger eintreten als der Tod irgendwie ergiebiger. Zum Beispiel das Vergleichen der durchschnittlichen Krankheitstage bei Radlern und Autofahrern.

Zu guter Letzt

Auch e-Rad Fahrer_innen können mit ähnlichen positive Effekten rechnen, denn beim e-Rad fahren ist der Körper ähnlich aktiv wie beim klassischen Radeln. Allerdings ist man kürzer unterwegs, das ist so gesehen ein Nachteil.

Links:

Hier gibt es die Studie: www.bmj.com/content/343/bmj.d4521.full