Nationaler Radverkehrskongress 2013 – gemischte Eindrücke

In Münster fand gestern und heute der 3. Nationale Radverkehrskongress statt. Dabei wurde auch der Deutsche Fahrradpreis (in verschiedenen Kategorien) verliehen.

Wichtiges Event – Ramsauer sprach

Bezüglich Entwicklungen in Politik und Forschung, Regelwerk oder neuen Trends ist der Kongress das wohl wichtigste Fahrradevent des Jahres in Deutschland. Ein bisschen ist er daher auch ein Gradmesser für die Fahrradszene und die politische Bedeutung des Radverkehrs allgemein. Aus dieser Sicht ist die Tatsache, dass Minister Ramsauer, dessen Ministerium den Kongress veranstaltete, den Kongress eröffnete als positiv zu werten.

Der Inhalt der Eröffnungsrede gab allerdings wenig Grund zur Euphorie – woher auch? Ramsauer betonte das Engagement des BMVBS im Radverkehr und dass man mit ca. 70 Mio. jährlich für Radwege an Bundesstraßen auch einen „Batzen Geld“ ausgebe. Dazu wies er daraufhin, dass E-Räder eine neue großartige Entwicklung seien und das Fahrarrad zum Teil der E-Mobilität machen würde, das habe er bis vor wenigen Jahren nicht gesehen – leider schlägt sich auch diese Aussage weder in den Modellregionen noch in den Schaufensterregionen nieder – Pedelecs werden bei der umfangreichen Förderung von E-Mobilität weiterhin fast vollständig ignoriert. Und dass 70 Millionen ein „Batzen Geld“ sind, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, im Verkehrsbereich sind es dennoch Peanuts und wichtiger noch: Es reicht nicht aus für die wichtige Bundsesaufgabe „Ausstattung der Bundestraßen mit Radwegen“, dafür wären laut einer für den NRVP 2020 erstellten Studie jährlich 224 Millionen nötig – dann hätten in 20 Jahren 70% der Straßen einen Radweg (derzeit sind es 40%).

Nach seiner Rede wurde der Minister in einer etwas skurrilen „Guerilla-Aktion“ mit dem goldenen Klappspaten ausgezeichnet. Allerdings kritisierte „NDR-Aktivist“ Tobias Schlegl, der kurzerhand ans Rednerpult sprang, leider nicht die Radpolitik Rausauers, sondern sein Versagen bei Stuttgart 21 und dem Großfluchhafen Berlin – Diese Aktion hätte der NDR vielleicht besser beim ersten Spatenstich für die A100 oder einem ähnlichen Anlass machen sollen.

Zurück zum Kongress

Direkt nach Minister Ramsauer wirkte Michael Groschek (Verkehrsminister NRW)  bei seinem Bekenntnis zu Fahrradverkehr deutlich entschlossener – „Her mit Platz und Geld!“ forderte er engagiert. Sehr spannend war danach der Beitrag von Robin Lester Kenton vom New York City Department of Transportation – Sie stellte locker flockig die Fahrradstrategie ihrer Stadt vor, obwohl die Technik ihre Folien nicht abspielte. NY hat unter anderem 75.000 Helme verschenkt und die Übergabe für Beratung rund ums Rad genutzt, es wurden 200 Meilen neue Radwege und viele Abstellanlagen gebaut, ein Verleihsystem wurde eingeführt. Dazu wurde das Ganze professionell mit Social Media begleitet, die Facebookseite Bikenewyork hat bspw. stolze 13.000 Fans. Von 2007 bis 2011 verdoppelte sich die Zahl der per Rad pendelnden. Ähnlich wie in London macht das Beispiel NY auf mich den Eindruck, es wird kürzer geredet und geplant als hierzulande und dafür mit klarem politischen Willen und angemessenen Mitteln losgelegt. Und auch wenn damit sicher nicht auf einmal alles rosig ist für den Radverkehr – es bessert sich vieles. In Deutschland hat man vielerorts die besseren Voraussetzungen und weiß genau, was nötig ist – der NRVP 2020 ist der beste Beweis – aber statt entschlossen loszulegen, fehlen meist klare Bekenntnisse von oben und die personellen und finanziellen Mittel.

Dass man Frau Lester Kenton extra aus den USA einfliegen ließ, um sie dann am Abend bei der Verleihung des Deutschen Fahrradpreises gute zwei Stunden ohne Übersetzung sitzen zu lassen, erschien mir sinnbildhaft für diese fahrradpolitische Halbherzigkeit und ein bisschen peinlich war es irgendwie auch.

Auch viel Positives

Der Kongress war allerdings an vielen Stellen sehr gelungen, rund 700 Teilnehmende kamen nach Münster. Es gab gut besetzte Foren zu wichtigen Fragen rund ums Rad: Kommunikation, Sicherheit, Tourismus, E-Mobilität, Verknüpfung Rad mit ÖV, Wissensmanagement, Finanzierung, Planung und rechtliche Regelungen (das ganze Programm hier). Mir hat besonders das Forum zur Verknüpfung von ÖPNV und Fahrrad gefallen, weil die Vortragenden sehr viele innovative Ideen für Mobilität abseits vom eigenen Pkw aufzeigten und dabei auch existierende Beispiele nannten, so etwa ein Projekt in Mettingen, bei dem ÖV und Pedelec kombiniert werden (mehr hier). Im Forum zu E-Mobilität wurde die im e-Rad Hafen schon kurz vorgestellte Studie des ILS präsentiert, dazu das DLR- Lastenrad-Projekt „ich ersetze ein Auto“ und der „Pedelec Korridor“ in Berlin.

Fachlich war das Niveau ziemlich hoch, auch aus dem Publikum kamen immer wieder gute Beiträge – in den Pausen und während der Abendveranstaltung gab es zudem genug Raum für Vernetzung und weitere Diskussionen. Essen und Musik am Abend waren ausgezeichnet, die Stände der ausstellenden Verbände und Projekte waren einladend. So gesehen relativieren sich die oben genannten Kritikpunkte.

Was noch?

Im BMVBS gibt es jetzt eine offizielle Fahrradbeauftragte: Birgitta Worringen. Wer allerdings dachte, die Radbeauftragte des Verkehrsministeriums sei NUR dies, täuscht sich. Sie bleibt Leiterin der Unterabteilung Verkehr, der neue Posten ist eine zusätzliche Aufgabe, den sie auf ausdrücklichen Wunsch besetzt.

In ihrem Schlusswort nach dem gut besetzten Abschlusspanel kündigte Frau Worringen an, eine interministerielle Arbeitsgruppe auf Bundesebene ins Leben zu rufen und die Ziele des NRVP weiter zu verfolgen.
So soll es sein. Und statt das Ganze jetzt noch weiter zu kommentieren, gibt es noch ein paar Bilder vom Kongress:

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Mehr e-Rad Hafen zum Thema Radpolitik

Rund ums Pedelec

 

 

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5 comments

  1. Ich muss leider sagen, das ich froh bin um jeden Radweg der nicht gebaut wird.
    Leider haben die Leute, die diese Radweg planen und durchführen vom Radfahren keine Ahnung daher ist es wohl besser wenn diese Totesfallen erst gar nicht gebaut werden.

  2. Die Verkündung der Fahrrad freundlichsten Person war m.E. im Rahmen der PK am Mittag öffentlich gemacht worden.
    Zu den Preisen ansonsten: Ich finde die Auswahl und Sieger_innen wären einen eigenen Beitrag wert – das war alles ganz nett. Aber sehr in die Länge gezogen und alles am Ende einfach zu „niedlich“, aus meiner Sicht nicht angemeseen für den Status, den das Fahrrad als Verkehrsmittel verdient – ich finde bspw. eine große Fahrradbrücke, eine innnovative Radstation oder eine Firma wie Leaserad, die mit vielen Unterstützer_innen die 1% Regel für (E)-Räder durchkämpft wären irgendwie von mehr bundesweiter Relevanz, als einige hundert Meter Radweg auf der Mitte der Fahrbahn in einer Einbahnstraße in Soest…

  3. Auch mir, der ich am 1. Tag anwesend war, hat die Zusammenfassung von admin sehr gut gefallen.
    Es fehlte noch, dass unser bayrischer Minister Ramsauer (zu) spät kam, dann vermutlich erst Interviews u.ä. gegeben hat und der Komgress nur deshalb mit Verspätung begann.
    Ich fand zudem, dass Herr Groschek seine Rede sehr plakativ-populistisch hat vorbereiten lassen. Immer dann, wenn eineR von „wir“ spricht, die müssen, sollen … bekomme ich Magengrimmen. Warum sagt ein Minister nicht mal: Ich setze mich dafür ein… , Ich mache… , Ich delegiere… o.ä..
    Ob wirklich 700 Personen kamen? Egal – das Ambiente war wie bei einem Automobilkongress und das war gut so! Auch hier wird Radverkehr endlich als nahezu gleichberechtigt angesehen.
    Bei den Forenthemen fiel nicht nur mir auf, dass es kein wirklich neues Themenfeld gibt bzw. abgesehen von der erwähnten ILS-Studie (war diese interessensgeleitet?) auch keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechend aufbereitet präsentiert wurden.
    Die Verleihungen im Rahmen der Abendveranstaltung wirkten ebenso lahm wie langgezogen. Die fahrradfreundlichste Persönlichkeit wurde übrigens ab ca. 14 Uhr bereits via Internet verkündet. Ob es da keine Sperrfrist gab??

  4. Hi Joachim,
    ich denke auch, dass nicht jede Bundesstraße geeignet ist. ABER: In vielen Gegenden besonders in der Nähe von Städten oder Gemeinden mit recht viel Radverkehr endet der Radweg direkt am Ortsausgang – so ist bspw. Pendeln mit dem Rad nach Greifswald (Radanteil innerorts deutlich über 20%) von außerorts fast unmöglich. Das ist nicht akzeptabel. Ein Radweg an der Bundesstraße wäre da „besser als nichts“.

    Dass der Bund noch an vielen anderen Stellen mehr für den Radverkehr tun könnte – bspw. bei der Entwicklung von Leuchturnprojekten, der Unterstützung von klammen Kommunen oder der Weiterentwicklung von Radschnellwegen (bspw. eine bundesweite Potezialanalyse) steht völlig außer Frage!

    Viele Grüße
    der admin

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